Strandung Aerobus 1975
Heute vor genau 50 Jahren……
…nämlich am Freitag, den 18.April 1975, ereignete sich einer der bemerkenswertesten Einsätze der Feuerwehr Mannheim. Es war der erste Tag der Bundesgartenschau, welche in diesem Jahr in Mannheim ihre Tore öffnete. Das Besondere dabei war, dass erstmalig in der Geschichte der Veranstaltung diese an zwei Orten, nämlich dem Luisenpark und dem Herzogenriedpark stattfand. Beide Orte lagen etwa 2,8 Kilometer auseinander, sodass man zur Verbindung der beiden Parks eine Verbindungsmöglichkeit benötigte. Busse und Straßenbahnen schieden für den Dauerbetrieb aufgrund der aktuellen Verkehrssituation und der vorhandenen Infrastruktur aus, weswegen man sich für ein zur damaligen Zeit absolut neuartiges Verkehrsmittel entschied, den Aerobus. Dieses, ursprünglich von Schweizer Seilbahnbauer Gerhard Müller entwickelte Verkehrsmittel, wurde in Mannheim erstmalig in einem regelhaften Betrieb zum Personentransport über einen längeren Zeitraum eingesetzt. Die Arbeiten zur Errichtung der Aerobusanlage begannen bereits ein Jahr zuvor, jedoch zeigte sich immer mehr, dass das System, so wie es von der Firma Müller ursprünglich vorgesehen war, noch einige erhebliche Defizite in sich trug. Dies zeigte sich unter anderem in der Konstruktion der Energieversorgung der Aerobuskabinen, in den ursprünglich nicht vorhandenen Weichensystemen zum Wechsel der Fahrtrichtung und in den nicht vorhandenen Systemen zur Block- und Signalsteuerung. So war es letztendlich der Entwicklungsabteilung bei der Mannheimer Verkehrsgesellschaft (MVG) unter ihrem Leiter Emmerich Rongisch zu verdanken, dass das System schlussendlich alltagstauglich wurde und für den vorgesehenen Zweck eingesetzt werden konnte. Eine dieser Änderungen am ursprünglichen System war beispielsweise die Anpassung der Stromzufuhr bei den Aerobuskabinen. Diese ergab sich aus einem Ereignis am 06.06.1974. Hier blieb eine Aerobuskabine in der Max-Joseph-Straße aufgrund eines gebrochenen Stromabnehmers liegen. Mit an Bord war bei dieser Fahrt ebenfalls der damalige Oberbürgermeister der Stadt Mannheim, Dr. Ludwig Ratzel. Nachdem die Kabine nur etwa fünf Meter über der Straße hing, konnten über eine tragbare Anstellleiter alle Insassen die Kabine sicher verlassen. Im Nachhinein wurden dann sowohl die Konstruktion der Stromabnehmer, als auch die Anordnung der Fahrleitung nochmals geändert.
Doch zurück zum 18. April 1975. An diesem Tag wurde mit einem großen Fest die Bundesgartenschau feierlich eröffnet. Die Jungfernfahrt des Aerobus vom Herzogenriedpark zum Luisenpark fand morgens ebenfalls wie geplant und ohne Probleme statt, unter den ersten Fahrgästen waren Bundespräsident Walter Scheel, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg Hans Karl Filbinger und Oberbürgermeister Ludwig Ratzel. Im Laufe des Tages stiegen jedoch die Außentemperaturen relativ schnell auf knapp über 25 Grad Celsius an, was zur Folge hatte, dass sich die aus Kupfer bestehenden Fahrleitungen mehr als ursprünglich berechnet ausdehnten. Dies wurde einer Aerobuskabine, die sich gerade auf dem Weg vom Luisenpark zum Herzogenriedpark befand, auf Höhe der damaligen Hauptfeuerwache an der Brückenstraße zum Verhängnis. Gegen 16:10h rutschte die Fahrleitung vom Stromabnehmer ab und der voll besetzte Aerobus blieb in einer Höhe von etwa sieben Metern kurz nach der Hauptfeuerwache stehen. Da die Kabinen lediglich über kleine Lüftungsschlitze in den Seitenfenstern und eine größere Lüftungsöffnung im Front- und Heckbereich verfügten, erwärmte sich das Innere der Kabine durch den fehlenden Fahrtwind recht schnell. Dadurch, dass die Kabine im Blockabschnitt zwischen Kurpfalzbrücke und Carl-Benz-Straße stand, stoppte die automatische Block- und Signalsteuerung eine weitere, nachfolgende Aerobuskabine im Blockfeld zwischen Luisenpark und Kurpfalzbrücke auf Höhe der Friedrich-Ebert-Brücke. Auch hier waren mehrere Fahrgäste betroffen und die Temperatur im Inneren stieg Stück für Stück an.
An diesem Tag war die Wachschicht B unter Wachschichtführer Albert Hasenfratz und seinem Stellvertreter Willi Boy auf der Hauptfeuerwache im Dienst. Die Wachschicht befand sich in einer 24 Stunden Dienstschicht und saß gerade zum nachmittäglichen Kaffee im Wachsaal zusammen. Der damalige Amtsleiter der Feuerwehr Mannheim Hanns Noss befand sich gerade im Treppenraum auf dem Weg in seine Dienstwohnung im zweiten OG des Seitenflügels der Hauptfeuerwache, als er die stehende Aerobuskabine bemerkte. Am Boden hatte sich mittlerweile ein Menschauflauf gebildet, der interessiert nach oben auf das Geschehen blickte. Hanns Noss ging daraufhin die zwei Stockwerke wieder nach unten und fragte in der im Erdgeschoss gelegenen Zentrale nach, ob denn über die Direktleitung zur MVG irgendeine Information über den stehenden Aerobus gekommen sei. Der diensthabende Zentralist verneinte dies, woraufhin Noss ihn bei der MVG nachfragen lies. Das Ergebnis war, dass das Ereignis bei der MVG bekannt war, man aber bereits einen eigenen Turmdrehwagen alarmiert hatte, um gegebenenfalls eine Evakuierung der Kabine durchführen zu können. Auch in den Reihen der diensthabenden Wachschicht war mittlerweile das Ereignis bemerkt worden, man hatte sich ebenfalls an den Fenstern des Wachsaales versammelt und schauten dem Treiben vor der Haustür zu. Nach kurzer Zeit traf dann auch der alarmierte Turmdrehwagen ein und es wurde versucht, diesen in Stellung zu bringen. Dies funktionierte jedoch nicht, da zum einen große Teile der Kabine über einer Grünfläche hingen, die mit dem Turmdrehwagen nicht zu befahren war, zum anderen reichte die Arbeitshöhe der ausgefahrenen Arbeitsplattform nicht aus, um die Fahrgäste, unter ihnen befanden sich auch ältere und mobilitätseingeschränkte Menschen, sicher aus dem Aerobus herausholen zu können. Nachdem die Situation nun offensichtlich und die Abarbeitung des Problems mit den eigenen Mitteln der MVG nicht möglich war, lies Hanns Noss Alarm für die Hauptfeuerwache geben. Daraufhin rückten in wahrscheinlich einer der kürzesten Alarmfahrten der Feuerwehr Mannheim von der Hauptfeuerwache die Drehleiter sowie die Leiterbühne zur Einsatzstelle aus, der diensthabende Zugführer ging zu Fuß zur Einsatzstelle. Vor Ort wurde die Leiterbühne auf der Ostseite und die Drehleiter auf Westseite positioniert. Etwas Verwunderung bestand vor Ort, als die eingesetzten Kräfte feststellten, dass der Fahrer des Aerobusses in schwindelnder Höhe auf dem Dach herumturnte und wohl versuchte, die Kabine wieder in Gang zu bekommen. Man dachte sich aber, dass er wohl wisse, was er da tue und lies ihn einfach machen. Die Befreiung der betroffenen Fahrgäste begann und war auch nach kurzer Zeit abgeschlossen. Es bestand anfangs noch die Idee, zur Unterstützung der Maßnahme die Telebühne der Feuerwehr Ludwigshafen einzusetzen, dies wurde dann jedoch aufgrund der Tatsache, dass die Aktion schneller als gedacht verlief, nicht mehr umgesetzt. Für den zweiten Aerobus, der vor dem Blocksignal zwischen Luisenpark und Kurpfalzbrücke stand, wurde die Drehleiter der Feuerwache Süd in Marsch gesetzt. Nachdem es aber gelang, den Aerobus rückwärts wieder in den Bahnhof Luisenpark zu fahren, konnte dieser Einsatz abgebrochen werden. Unter den Fahrgästen gab es glücklicherweise keine Verletzten, außer Wasser aus einem nahegelegenen Kiosk, wurde nichts weiter gebraucht. Die Weiterfahrt zum Herzogenriedpark erfolgte in einem durch die MVG bereitgestellten Bus.
In den Tagen, Wochen und Monaten danach spielten die an der Hauptfeuerwache vorbeifahrenden Aerobusse immer mal wieder eine Rolle im täglichen Wachalltag der Hauptfeuerwache. Nachdem die Kabinen genau auf Höhe von einem der Ruheräume vorbeifuhren, bot dies natürlich jede Menge Möglichkeiten für die allseits bekannte Kreativität von Feuerwehrleuten im Wachalltag. So wurde unter anderem das aus dem Lehrsaal bekannte und eigentlich im Anatomieunterricht eingesetzte künstliche Skelett, welches intern den Spitznamen „Kochenlissel“ trug, Teil einer dieser Aktionen. Die „Knochenlissel“ wurde aufgehübscht und mit entsprechender Kleidung sowie einer Zigarette kunstvoll am Fenster drapiert. Über einen eigens entwickelten Seilzugmechanismus winkte sie den vorbeifahrenden Aerobusfahrgästen fröhlich zu, was in den meisten Fällen bei diesen durchaus für Erheiterung sorgte. Leider gab es natürlich auch entsprechende Kritik, sodass die Aktion nach kurzer Zeit eingestellt werden und die „Knochenlissel“ in ihren alten Job im Lehrsaal zurückkehren musste.
Und was wurde aus dem Aerobus?
Nach Ende der Bundesgartenschau im Oktober 1975 erlosch auch die Betriebsgenehmigung für die Aerobusstrecke. Die Bilanz mit über 2,4 Millionen transportierten Fahrgästen an 185 Tagen (bis zu 27.000 Fahrgäste an Spitzentagen) bei einer Stillstandzeit durch technische Störungen von lediglich 15 Stunden war schließlich durchweg positiv und so wollten die MVG das Kapitel „Aerobus“ nicht einfach so sang- und klanglos beenden. Weiterhin hatte ja auch jede Menge Entwicklungsarbeit stattgefunden, die dafür gesorgt hatte, dass das System durchaus als praxistauglich zu bezeichnen war. Die erkannten Schwachstellen lagen unter anderem in den Seilen für die Fahrbahn, diese erwiesen sich als relativ kontroll- und wartungsaufwändig. Hinzu kam, dass man sich mittlerweile aufgrund von verschiedenen Ereignissen dermaßen mit dem Erfinder Gerhard Müller überworfen hatte, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Zukunft nicht mehr möglich erschien. So hatte sich die MVG entschlossen, in einer eigenen Arbeitsgemeinschaft das System unter dem Namen „Hochbahn Mannheim“ weiterzuentwickeln. Es wurde dazu eine etwa 600m lange Versuchsstrecke zwischen Herzogenriedpark und Carl-Benz-Straße gebaut, die verschiedenen technische Weiterentwicklungen des ursprünglichen Systems aufwies. So wurden beispielsweise die Stahlseile der Fahrbahn durch Hohlkastenprofile ersetzt, welche überprüfungs- und wartungsarmer waren. Weiterhin wurden die Laufgestelle der Kabinen neu entwickelt, sodass danach auch höhere Geschwindigkeiten bei besseren Bremswerten möglich waren. Die Versuchsanlage wurde von über 300 Delegationen aus der ganzen Welt besucht und immer durchweg positiv bewertet. Zu einer Umsetzung kam es jedoch nie, auch die Pläne für eigene Trassen innerhalb des Mannheimer Stadtgebietes wurden niemals umgesetzt, obwohl die Errichtungskosten für eine Hochbahnstrecke nur bei einem Bruchteil derer einer Stadtbahnstrecke lagen. Weiterhin liefen über die Jahre noch verschiedene gerichtliche Auseinandersetzungen mit der Firma Müller, vorwiegend um Patentrechte und die Nachwirkungen rund um das Mannheimer Aerobus-Projekt. Müller selbst hatte ebenfalls versucht, das Projekt weiterzuentwickeln. Hierzu entstand im schweizerischen Dietlikon ebenfalls eine Teststrecke. Aber auch Müller gelang es nicht, das System erneut an den Markt zu bringen, ein Vertrag für eine Aerobusstrecke in Kuala Lumpur wurde zwar abgeschlossen, jedoch niemals umgesetzt. Müller verkaufte in den Achtzigerjahren dann die Patente an einen Investor aus den USA, aber auch diesem gelang es nicht, das System irgendwo auf der Welt zu implementieren. Das Projekt „Hochbahn Mannheim“ wurde schließlich Anfang der Achtzigerjahre, auch aufgrund eines verlorenen Gerichtsprozesses eingestellt, der Betrieb auf der Teststrecke ruhte seitdem. Die Anlage verfiel daraufhin mehr und mehr, die Kabine der Hochbahn fiel im Bahnhof Herzogenriedpark mehr und mehr dem Vandalismus zum Opfer. 1987 wurde die Teststrecke sowie die letzten Überbleibsel der Aerobusstrecke schließlich abgebaut, drei Segmente der letzten Kabine wurden in den Bestand des Technoseums übernommen und eingelagert. Von den restlichen Kabinen ist nur bekannt, dass eine zurück zur Firma Müller für die Weiterentwicklung ging und die restlichen sechs Kabinen bis Mitte der Achtzigerjahre auf einem Lagerplatz im schweizerischen Schaffhausen abgestellt wurden. Es ist davon auszugehen, dass sie irgendwann verschrottet wurden.
So endete die Geschichte dieses sicherlich einmaligen Transportsystems. Die Stadt Mannheim war auch hier wieder einmal Ausgangspunkt für eine bemerkenswerte Neuentwicklung im punkto Mobilität, so wie sie das schon mit der Erfindung des Fahrrades und des Automobiles war.
Der Autor dankt an dieser Stelle ganz herzlich all denjenigen, die bei der Realisierung dieses Beitrages behilflich waren. Persönlich erwähnt werden sollen hierbei insbesondere Lothar Nagel, Peter Wieder, Rudi Schumann und die Gemeinschaft der Pensionäre der Feuerwehr Mannheim. Ein weiteres Dankeschön geht an die Bildstelle der Feuerwehr Mannheim für die Zurverfügungstellung der Bilder, die aus der Sammlung von Hanns Noss stammen (Bilder 1-12). Das Bild Nr. 13 ist aus einem Facebookpost der RNV, die Bilder 14 und 15 stammen aus einem Facebookpost von Philip Euler.